Maria Magdalena Z’Graggen | RAW
Kito Nedo, Galerie Nicolas Krupp, 2023
«RAW» lässt sich ins Deutsche mit «roh» übersetzen. Der Titel, den Maria Magdalena Z´Graggen ihrer aktuellen Ausstellung verpasst hat, ist mit verschiedenen Lesarten und Assoziationen konnotiert. Im Webster‘s Dictionary finden sich ein gutes Dutzend Bedeutungen aufgelistet, unter anderem «being in or nearly in the natural state: not processed or purified», «not diluted or blended» oder «not being in polished, finished, or processed form». Sowohl die Gemachtheit wie auch das Zeigen und Betrachten schwingen also im bündigen Ausstellungstitel mit, genauso wie die Frage nach dem Material. Die Künstlerin selbst spricht über «Direktheit, Klarheit und das Ungemischte».
Z´Graggens Bilder entstehen in einem komplexen und langwierigen, sich über mehrere Monate erstreckenden Arbeitsprozess. Für die Untermalung ihrer Bilder benutzt Z´Graggen ausschliesslich eine selbstproduzierte Mischung aus Öl und Pigmenten. In mehreren Lagen wird sie mit dem Pinsel auf die stark gespannte, zuvor mit traditionellem Gesso auf Hasenleim-Basis präparierte Leinwand aufgetragen. Anschliessend folgt eine Malschicht aus unverdünnter Farbe. In einem letzten Schritt wird die oberste, dritte Farbschicht aufgebracht. Dabei gibt die Künstlerin verschiedene Ölfarben aus der Tube auf einen langen Spachtel, den sie anschliessend langsam über die noch feuchte Fläche zieht. So formt sie Kreise, Ovale oder unterschiedlich breite Streifen. Neben den Leinwänden werden in der Ausstellung auch vier neue Kleinformate in Öl auf Papier gezeigt, die gleichberechtigter Teil der «RAW»-Werkserie sind. Diese Bilder wirken verspielter und entstehen oft parallel zur Arbeit an den größeren Formaten. Sie werden von der Künstlerin als «Nebenfluss» und dennoch wichtiger Teil ihrer «painting practice» beschrieben.
Wie die Glieder einer Kette verweist jedes Bild auf ein anderes und auf die Gesamtheit der Bilder zugleich. Z´Graggen legt ihre Bilder in Gruppen an. Farbe nutze sie «wie eine Sprache oder wie einen Informationsträger» sagt Z´Graggen. «Die Wahl der Farbe ist in meiner Malerei zentral. Sie setzt den Ton und macht in der Gesamtheit die Musik.» Farbe als Stoff besitzt eine Medialität, mit der sich Wissen, Vorstellungen und Erfahrungen speichern und übertragen lassen. Es geht dabei nicht um Gegenständlichkeit und auch nicht um die Traditionslinie historischer Abstraktionsbegriffe. Letztere sind ohnehin präsent. «Ungegenständlichkeit» ist der von Z´Graggen bevorzugte Begriff, wenn sie über ihre Bilder spricht. Das Wort klingt sachlich. Diese Sachlichkeit findet sich auch in ihren Bildtiteln wieder, die in ihrer Zusammengesetztheit einen indexikalischen Charakter haben. Die Konzentration auf das Malen und die damit verbundenen Prozesse und Entscheidungen stehen im Zentrum dieser Praxis, deren Ziel der Dialog ist. «Für mich geht es bei der Malerei um Kommunikation, darum, eine Form zu finden, um miteinander zu kommunizieren.“
John Baldessari, der kalifornische Konzeptkünstler, erklärte seine Kunst-Philosophie einmal so: «Es geht darum, sich selbst zu schikanieren – nicht darum ein angenehmes Leben zu führen. Letztendlich bleiben nur Du und Deine Kunst.» Maria Magdalena Z´Graggen vergleicht die Entstehung ihrer Bilder entsprechend mit einer «Wildwasser-Fahrt mit dem Boot». Im Atelier findet also ein Abenteuer mit Unvorhersehbarkeiten statt, die es zu bewältigen gilt. «Die Natur, das Organische, stellt mir Fallen, die interessant sind.» Aus der Balance von Konzentration, Kontrolliertheit und Kontrollverlust entsteht eine Vielheit von Verweisen. So bildet sich ein ästhetisches System aus Formen, Farben und Erhabenheiten, das auch von den Bedingungen seiner Entstehung erzählt.
Kito Nedo, 2023
Maria Magdalena Z’Graggen | RAW
Kito Nedo, Nicolas Krupp Gallery, 2023
"RAW", the title that Maria Magdalena Z'Graggen has given to her current exhibition is loaded with various interpretations and associations. In Webster's Dictionary, you can find a dozen or so meanings listed, including "being in or nearly in the natural state: not processed or purified," "not diluted or blended," or "not being in polished, finished, or processed form." Thus, both the act of doing as well as the act of showing and viewing resonate in the concise exhibition title, as does the question of material. The artist herself talks about "directness, clarity, and the unmixed."
Z'Graggen's paintings emerge through a complex and lengthy process that spans several months. For the underpainting of her pictures, Z'Graggen uses a self-produced mixture of oil and pigments. This mixture is applied with a brush in several layers onto a tightly stretched canvas previously prepared with traditional rabbit-skin glue-based gesso. Subsequently, an unadulterated layer of paint is applied. In a final step, the topmost third layer of paint is added. In this stage, the artist places various oil colors from tubes onto a long spatula and slowly drags it over the still damp surface, creating circles, ovals, or varying-width stripes. In addition to the canvases, the exhibition also features four new small-format oil-on-paper works, which are equal parts of the "RAW" series. These paintings appear more playful and are often created concurrently with the work on the larger formats. The artist describes them as a "side stream" and yet an essential part of her painting practice.
Like the links of a chain, each painting refers to another and to the entirety of the paintings simultaneously. Z'Graggen arranges her paintings in groups, using color "like a language or an information carrier," the artist says. "The choice of color is central in my painting. It sets the tone and, in its entirety, creates the music." Color as a substance possesses a mediality through which knowledge, ideas, and experiences can be stored and conveyed. This is not about representationalism or the historical lineage of abstract concepts. The latter are present anyway. "Non-objectivity" is the preferred term for Z'Graggen when discussing her paintings. The word sounds objective. This objectivity is also reflected in her painting titles, which, in their composition, have an indexical character. The focus on painting and the processes and decisions associated with it are at the core of this practice, whose goal is dialogue. "For me, painting is about communication, finding a form to communicate with each other as human beings."
John Baldessari, the Californian conceptual artist, once explained his art philosophy as follows: „ It’s about bloody-mindedness. It’s not about living the good life. In the end, it’s just you and the art.“ Maria Magdalena Z'Graggen compares the creation of her paintings accordingly to a "white-water rafting trip." So, in the studio, an adventure with unpredictabilities takes place, which must be mastered. "Nature, the organic, sets traps for me that are interesting", Z’Graggen says. From the balance of concentration, control, and loss of control, a multitude of references emerges. Thus, an aesthetic system of shapes, colors, and elevations is formed, which also tells the story of its conditions of origin.
Kito Nedo, 2023