Maria Magdalena Z’Graggen — Malerei wie das Leben
Isabel Zürcher, Kunstbulletin 7-8/2022
Herausgeber Schweizer Kunstverein, Zürich
Im Kunsthaus Grenchen zeigt Maria Magdalena Z’Graggen neue Bilder. Wie Angehörige derselben Familie haben sie bei gleicher Grundlage ungleiche Temperamente. Am Rande der konzentrier- ten Arbeit im Grossformat entlädt sich im Kleinen ein Irrsinn – heiterer Tanz von Nebenprodukten, Auftritt purer Fantasie.
Grenchen — Über Monate hat sich die neue Bilderreihe für die Ausstellung im Kunst- haus Grenchen aufgebaut. Mit allen Unabsehbarkeiten, mit angespannter Vorfreu- de auch. Zu Neujahr hingen weiss grundierte Holztafeln an den Atelierwänden. Acht Grossformate, bedeckt mit geschliffenem Gesso und getränkt von einer Vorstellung, die drei Ebenen gleichberechtigt miteinander in Kontakt bringen will. Da ist ein Grundton. Mit breitem Pinsel aufgetragen, gibt je ein Klang jeder Tafel ihre Basis und Energie. Einmal getrocknet, folgt eine Schicht in Öl. Ein Spachtel drängt das schwe- rere Material in die Fläche, bevor im dritten «Akt» eine einmalige Geste mehrere Pigmentspuren in die noch weiche Farbschicht zieht.
Es gibt keine Probe in diesem Farborchester. Rasch entscheidet Öl über Gültig- keit oder Ausschluss, Nass in Nass sind Korrekturen so gut wie ausgeschlossen. Vom Widerstand, von der Breite und vom momentanen Druck des Spachtels hängt ab, wie Farbe sich von der Wulst in die Fläche mitnehmen lässt. Dabei wird sichtbar: Pig- mente haben mehr als eine farbliche Intensität. Sie lassen auch ihr physikalisches Temperament aus an der Malerei, haften mehr oder weniger auf dem vorbereiteten Grund, wollen überlistet werden, erzeugen Risse oder verschenken sich an ihre Nach- barschaft in sämiger Glätte. Maria Magdalena Z’Graggen anerkennt den Eigensinn der einzelnen Pigmente und weiss, dass ihr Material ziemlich macht, was es will. Er- fahrung zählt, doch kann Farbe jede vorgefasste Idee zum Scheitern bringen. Das in Vorbereitung der neuen Serie entstandene Logbuch der Künstlerin konnte also Farb- konstellationen nur auf Zusehen hin anlegen. Zuletzt bleibt Malerei ein Abenteuer, die Frucht des unerschrockenen Ausprobierens: Wie reagieren Aggregatzustände aufeinander? Welche Kombination von Grund und Motiv, von Warm und Kühl erzeugt jene Bewegung, die jede abschliessende Übersicht auf Dauer unterlaufen kann?
Wie Fremdlinge im eigenen Land kommen neue Bilder an im Atelier, während sich am Rand der konzentrierten Arbeit Reste sammeln: Langsam trocknende Wuls- te an Pigment, Farbmuster auf Papier, Abschnitte von Schablonen, in Gesso erhär- tete Schnur. Seit einigen Jahren schon formieren sich solche Nebenprodukte von Z’Graggens Malerei zu autonomen Figurinen und bilden kokett ihren eigenen Cortège aus. In Grenchen sind sie erstmals ausgestellt. So entlädt sich die Hochspannung, die den Balanceakt zwischen Entscheiden und Geschehenlassen im Grossformat begleitet, in skurrilen Marginalien. So lacht Malerei über sich selbst.